Prozesserklärung

Prozesserklärung einer angeklagten Genossin

Wenn ich auf das letzte Jahr und insbesondere auf den 1. Mai 2022 hier in München, wegen dem einige von uns Repression abbekommen haben, zurückblicke, sehe ich sehr viele Aspekte, die mich bewegen und positiv auf die Zukunft blicken lassen.

Das Jahr und auch schon die Zeit davor war geprägt von fortschrittlichen Kämpfen und einer wachsenden Bewegung, die sich dem kapitalistischen System mit all seinen reaktionären und menschenfeindlichen Seiten entgegenstellt – und das nicht nur hier in München sondern bundesweit. So gab es eben am 01. Mai 2022, wie weltweit, auch hier neben der Gewerkschaftsdemo zum zweiten Mal in Folge eine revolutionäre 1.Mai-Demonstration, an der sich sich über tausend Menschen beteiligten. Und obwohl die Staatsmacht alles daran tat, die Demo mit Knüppeln und Pfefferspray zu zerschlagen, schafften wir es selbstbestimmt weiter zu demonstrieren.

Die Demo steht für mich – wenn auch nur im Kleinen – als ein Sinnbild für eine wachsende Bewegung, die das Aufleben einer linke Gegenmacht anstrebt. Grundlage hierfür ist, wie auch schon in Vergangenheit, die Solidarität und der Zusammenhalt unter uns Genoss:innen innerhalb und mit unserer Klasse, sowie die Motivation sich gegen die sich immer stärker zuspitzenden gesellschaftlichen Verhältnisse der kapitalistischen Krise und deren Auswirkungen zu wehren und eine antikapitalistische Perspektive zu entwickeln.

Die Folgen des derzeitigen Systems sind stetig präsent und spitzen sich immer weiter zu. Massenentlassungen, Wohnungsräumungen und Armut waren nie weg und betreffen mit der fortschreitenden Krise immer mehr Menschen. Schützen tut uns der Staat dagegen nicht. Unternehmen werden gestützt, während Arbeiter:innen sich für diese kaputt sparen sollen. Wir Lohnabhängigen blicken mit Sorge in die Zukunft, weil es realistisch gesehen nichts mehr geben wird, womit wir unsere Existenz langfristig sichern können.

Auch rechter Terror ist so gegenwärtig wie lange nicht mehr. Faschistische Strukturen können sich ungestört aufbauen, und ihre rassistischen Machenschaften ausleben, ohne dass sie dabei tatsächliche Einschränkungen erfahren. Der ohnehin von Nazis durchsetzte Staat – wie viele aufgedeckte Chatgruppen aus Bundeswehr, Polizei und Behörden beweisen – klopft ihnen nur dann auf die Finger, wenn zum Beispiel das mediale Echo doch mal zu groß wird und sein eigenes Image als recht schaffender Staat dadurch gesellschaftlich breit in Frage gestellt werden könnte.

Aber selbst in diesen Momenten können die Rechten sich praktisch darauf verlassen, dass es bei der oberflächlichen Behandlung ihrer Taten bleibt. Sie sind der herrschenden Klasse bei einer möglichen Aufstandsbekämpfung gegen eine revolutionäre Bewegung ein nützliches Instrument in der Hinterhand. Besonders klar verdeutlicht das rechter Terror wie in München, Hanau, Halle oder dem NSU und die unzähligen rassistischen Morde, deren Entstehung mitsamt den staatlichen Verstrickungen nicht ansatzweise aufgeklärt wurden. Für die kleinsten Ergebnisse der Aufklärung braucht es bis heute Strukturen und Initiativen von “Unten”, die vehement darum kämpfen, dass die Morde nicht als Einzelfälle in Vergessenheit geraten, sondern als das gesehen werden, was sie sind – Als Teil eines strukturellen Problems dieses Systems.

Aufs Klima scheißt der Staat generell. Die letzte brutal durchgeführte Räumung in Lützerrath beweist es aufs Neue. Statt dem breiten Interesse der Gesellschaft nach einer Klima- und umweltfreundlichen Politik in praktischer Konsequenz folge zu leisten, ging die Staatsmacht brutal gegen Aktivist:innen vor, um die Profitgier von RWE zu unterstützen, obwohl wissenschaftlich erwiesen ist, dass mit dem Ausbau des Garzweilers das Erreichen der Nichtüberschreitung des 1,5 Grad-Ziels und damit die Verhinderung eines globalen Klimakastrophe nicht mehr möglich ist.

Von patriarchalen Mechanismen, die der Staat stützt und reproduziert, um die Unterdrückung der Frau zugunsten des Kapitals aufrechtzuerhalten, brauche ich gar nicht erst anzufangen. Dass der Paragraph 218, der Schwangerschaftsabbrüche zu einer Straftat erklärt, weiter unangetastet bleibt, erklärt diese Tatsache von selbst.

Aber warum das alles?

Die kapitalistische Gesellschaft ist in Klassen gespalten. Hierbei hat der Staat die Rolle intus die herrschenden Verhältnisse zu sichern und steht somit auf Seite des Kapitals. Und auch wenn die Arbeiter:innenklasse die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung darstellt, haben ihre Interessen darin keinerlei Platz.

Denn nur durch deren Ausbeutung können Kapitalist:innen ihre Profite erlangen. Durch das strukturelle Heranziehen patriarchaler und rassistischer Unterdrückung entwickeln sich für Kapitalist:innen viele Vorteile, indem sie Personengruppen besonders prekär anstellen und ausbeuten können. Die Untersrückungsmuster, werden vom Staat durch Gesetze aktiv durchgesetzt und gefördert. Das begünstigt die Vereinzelung der Arbeiter:innenklasse und ermöglicht dem Staat eine mögliche Gegenwehr im Schach zu halten. Wenn das nicht ausreicht, greift der Repressionsapparat. Durch Polizeigewalt und Klassenjustiz.

Die Justiz nimmt im staatlichen Apparat eine besondere Rolle ein. Mit ihrem Recht zu urteilen, agiert sie gegen all jene, die nicht im Sinne der Interessen der Herrschenden handeln, sich gar gegen das herrschende System auflehnen, besonders hart. An dieser Stelle gehen meine Grüße und Solidarität heraus an alle Antifaschist:innen in Haft, die Betroffenen der Krawallnacht-Prozesse in Stuttgart, die vom Paragraph 129a/b betroffenen Genoss:innen und Gruppen und eben auch die weiteren Genoss:innen die vom 01. Mai 2022 Repression bekommen haben oder noch erwarten.

Die absurden Gängelungen und Repressionen seitens Polizei und Staatsgewalt hielten schon in der Vergangenheit die antikapitalistische Bewegung nicht davon ab auf die Straße zu gehen und gegen die herrschenden Verhältnisse in Aktion zu treten. Das werden sie auch weiterhin nicht tun. Auch ich werde mich davon nicht unterkriegen lassen. Im Gegenteil bewirkt die Repression viel mehr, dass wir unseren Kampf nur noch ernsthafter betrachten, solidarisch zusammenstehen und weiterkämpfen.

Denn eines muss uns als Bewegung bewusst sein. Solange wir in diesem System leben und diesem etwas entgegensetzen wollen, wird dieses mitsamt seiner Behörden, Handlangern und Gerichten uns als Gefahr und damit als Feind betrachten und uns als solche behandeln. Wenn das nicht so wäre, würden wir das herrschende System nicht ernsthaft tangieren und unsere Kämpfe wären irrelevant.

Klar ist auch, dass eine linke Bewegung sich momentan in der Defensive befindet. Doch umso wichtiger ist es, sie konsequent weiter aufzubauen und eine tatsächliche Gegenmacht von unten zu entwickeln. Objektiv gesehen scheint es absurd, dass Menschen wegen tätlichen Angriff, Widerstand oder Körperverletzung in diesem Sinne vor Gericht gezerrt werden, wenn man die scheinbaren Anlässe dafür genauer betrachtet. In dem mir zugesendeten Strafbefehl schreibt die Justiz selbst, dass der Anlass der Straftat, die mir vorgeworfen wird, begangen zu haben, auf den Eingriff seitens Polizei durch den Zitat: „Anfangsverdacht einer Ordnungswidrigkeit gegen das Sprengstoffgesetz” folgte. Ordnungswidrigkeit gegen das Sprengstoffgesetz heißt hier übersetzt, keine Bombe oder ähnliches, sondern Pyrotechnik, die die Demo gestalterisch untermalt haben soll. Ein Anfangsverdacht, der rechtfertigte, dass die Polizei willkürlich auf Demonstrant:innen mit Schlagstöcken einzuschlägt, pfeffert und diese verletzt – ohne Rücksichtnahme auf Verluste, dafür aber mit dem Wissen immer den Schutz des Staates und der Justiz in ihrem Rücken zu haben. Dieser Einsatz ist ein Einzelfall sondern Normalität.

Es scheint wie eine Farce, zu wissen, dass ich ein höhere Strafe bekommen habe wie zum Beispiel die Mörder von Oury Jalloh. Verwundern tut mich mein hohes Strafmaß aber nicht, dass es in einem erneuten Prozess auch nicht besser werden konnte, habe ich erwartet. Denn was absurd klingt, ist mit dem, was ich oben benannt habe eine Logik, die in den herrschenden Verhältnissen Sinn ergibt.

Und diese Logik gibt mir unter anderem den Kampfgeist weiterzumachen und für ein System in Händen der Arbeiter:innenklasse einzustehen.
Das lasse ich mir nicht nehmen, von niemanden – ich lasse mir auch nicht nehmen den den ersten Mai so zu begehen und zu feiern als das was er ist – dem internationalen Arbeiter:innenkampftag. Einen Tag, an dem wir all unsere Widerstandskämpfe miteinander verbinden und als das was uns alle miteinander verbindet, als Klasse gemeinsam auf die Straße – gegen ein System, dass auf uns scheißt, mitsamt all den damit verbundenen Konsequenzen und Folgerungen.

Das alles hätte ich kommenden Montag auch gerne der Staatsanwalt und dem Richter ins Gesicht gerotzt. Sei es aus Trotz oder als persönlicher Ungang mit Repression. Denn Repression ist ein Thema, welches uns individuell treffen soll und unterschiedliche Auswirkungen emotional auf uns hat. Die Entscheidung den Prozess nicht zu machen, sondern den Strafbefehl im stillen Kämmerchen anzunehmen, fällt mir sehr schwer, sowie anderen die Situation vor Gericht zu sitzen sehr schwer fällt. Jedoch ist es so, dass wir in meinem Fall vor Gericht nichts gewinnen hätten können und uns als Genoss:innen mit Beratung von Anwälten und Roter Hilfe dafür entschieden haben die 160 Tagessätze anzunehmen, anstatt eine Bewährung in Kauf zu nehmen und somit eine gewisse Kampfkraft für die Straße zu bewahren. Umso wichtiger ist es aber die individuellen Folgen von Repression, sei es materiell aber eben auch emotional kollektiv aufzufangen und gemeinsame Umgänge damit zu schaffen.

Lassen wir das Gefühl der Vereinzelung, die die Repression bezwecken will nicht zu und machen dort weiter, wo es gilt Kämpfe zu gewinnen oder wo wir ihnen nicht entgehen können. Gegen die Klassenjustiz! Gegen das Menschenfeindliche System und für den Kommunismus.

Bleiben wir weiter aktiv und solidarisch, begleiten wir die Genoss:innen, die noch durch die Gerichtstermine aufgrund des 1. Mai 2022 durchmüssen, um sie darin zu unterstützen sich dem Vereinzelungsversuch des Staates zu widersetzen.

Denn getroffen hat es wenige, gemeint sind wir Alle!